Neustart statt Fehlstart

Dieser Artikel wurde zuerst veröffentlicht bei Kulturmanagement.net am 09.03.2021

Mit dem 10. März jährt sich der Tag, ab dem das kulturelle und gesellschaftliche Leben in Deutschland in weiten Teilen zum Erliegen kam: Der gemeinsame Krisenstab von Gesundheits- und Innenministerium empfahl die Absage aller öffentlichen und privaten Großveranstaltungen mit mehr als tausend Teilnehmern. Wir blicken dann zurück auf zwölf Monate ohne Festivals und Großveranstaltungen. Auch wenn einige Kulturbranchen und Formate bereits im Sommer und Frühherbst ihre Türen kurzzeitig öffnen durften, befinden sich viele andere seit einem Jahr im Dauerlockdown.

Während die nahe Zukunft weiterhin ungewiss bleibt, zeichnet sich eines jedoch immer deutlicher ab: Ein langfristiger Neustart für die Kultur- und Eventbranche ist nur eine Frage der Zeit. Doch die neue Realität bringt nicht nur neue Bedingungen für die Durchführung von Veranstaltungen mit sich: Abstandsregeln, Maskenpflicht, Kontaktreduzierung, soziale Isolation und die latente Angst vor drohender Ansteckung bei der Begegnung mit anderen, all das wird auch die Gewohnheiten, Bedürfnisse und das Verhalten des Publikums im Kulturbereich nachhaltig beeinflussen.

Wenn wir einfach davon ausgehen, ab einem Zeitpunkt X wäre alles wieder ganz beim Alten, dann werden wir wohl überrascht sein, wie sehr sich die Dinge geändert haben. Viele unserer bisherigen Kommunikationsstrategien und -abläufe werden unter den veränderten Bedingungen nicht mehr aufgehen. Zwar haben viele Kulturinstitutionen ihre Kommunikationskompetenzen mit digitalen Vermittlungsformaten und Online-Veranstaltungen sichtbar erweitern können, bei den Ankündigungen von Präsenzveranstaltungen und Wiedereröffnungen konnte jedoch immer wieder eine völlige Überforderung beobachtet werden. Nur wenigen scheint es zu gelingen, die veränderte Situation in der Kommunikation mitzudenken und adäquat darauf einzugehen.

Im Bereich der Museen, Theater, Konzerthäuser und anderen Veranstaltungsorten haben wir im vergangenen Herbst bereits einen ersten Neustart erlebt, der mit dem neuerlichen Lockdown abrupt zum Fehlstart wurde. Aus den daraus gewonnenen Erfahrungswerten können wir aber lernen und Parameter benennen, die beachtet werden sollten, wenn wir unsere Kommunikation erfolgreich an die Anforderungen der neuen Realität anpassen wollen. Die wichtigsten dieser Parameter sollen hier kurz vorgestellt werden.

Ankündigungen, Verlegungen und Absagen

Seit März 2020 sind nicht nur Künstler und Veranstalter, sondern auch Millionen Ticketkäufer in Deutschland von Veranstaltungsabsagen und -verlegungen betroffen. Viele bereits ausverkaufte oder im Vorverkauf befindliche Veranstaltungen mussten gleich mehrfach abgesagt und auf einen vermeintlich zuverlässigen Zeitpunkt in der Zukunft verschoben werden. Spätestens jetzt sollte klar sein, dass in der aktuellen Situation bei keiner einzigen Ankündigung einer Veranstaltung eine Garantie für eine verlässliche Durchführung zum angekündigten Zeitpunkt besteht. Es wird sich auch niemand finden, der Brief und Siegel darauf gibt, dass eine Veranstaltung unter den geplanten Bedingungen zuverlässig stattfinden kann. Das ist auch dem Publikum bewusst. Wenn jetzt für diese unsichere Zukunftslage eine neue Veranstaltung angekündigt und vielleicht sogar aktiv für den Ticketkauf geworben wird, dann werden dabei selbstständig Tatsachen geschaffen, die auf sehr wackeligem Grund gebaut sind.

Die meisten Menschen verfolgen die aktuellen Entwicklungen tagtäglich in den Medien. So prasseln auf das potentielle Publikum kontinuierlich Nachrichten über Lockdown-Verlängerungen, Reiseverbote und längerfristige Einschränkungen ein. Das Resultat: Unsicherheit und Irritation. Die Gefahr, dabei die eigene Glaubwürdigkeit und das langjährig aufgebaute Vertrauen zu verlieren, ist groß. Empfehlenswerter ist es stattdessen, transparent und offen zu kommunizieren und auch die eigene Unsicherheit über mögliche Entwicklungen aktiv in die Kommunikation miteinzubeziehen. Von dieser authentischen Position aus kann dann kontinuierlich mit den jeweiligen Entwicklungen gearbeitet werden.

Corona-Schutzkonzepte

Was im vergangenen Jahr sehr häufig zu beobachten war, sind lange Hygienekonzepte mit komplizierten Texten, prominent platziert an oberster Stelle auf der Homepage. Eine Maßnahme, die eigentlich Vertrauen aufbauen sollte, oftmals aber eher abschreckende Wirkung hatte. Dabei ist ein solches Vorgehen in gewisser Weise sogar überflüssig. Der Anspruch an ein Sicherheitskonzept ist ja, dass es vor Ort auch ohne Vorwissen funktionieren muss. Zudem: Solange ein Mensch nicht konkret vor dem Einlass ansteht, können wir weder seine Sicherheit noch die anderer gefährden. Wenn jetzt aber ein langer Katalog an Regelungen und Vorschriften so kommuniziert wird, als müsste das Publikum sich damit im Vorfeld ausführlich auseinandersetzen, dann schreckt das ab und kann den einen oder anderen auch überfordern.

Der beste Weg, die Vertrauenswürdigkeit des eigenen Corona-Schutzkonzeptes zu kommunizieren, ist die Anführung konkreter Belege, in Form von externen Zeugen, wie Ämter, Behörden, Fachärzte und Sicherheitsexperten, die bei der Entwicklung und Genehmigung des Konzeptes involviert waren. Nichts ist jedoch vertrauensbildender als Besucherinnen und Besucher, die glaubwürdig bestätigen können, dass sie sich bei einer Veranstaltung in jedem Moment sicher gefühlt haben und dabei das Konzept der Organisatoren sowie das Engagement aller Mitarbeitenden lobend hervorheben.

Mangelnde Erfahrungswerte, fragliche Mehrwerte und veränderte Gewohnheiten

Wenn es nun gelingt, dem Publikum glaubwürdig zu vermitteln, dass Veranstaltungen zuverlässig stattfinden können und die Sicherheit von Besuchern jederzeit gewährleistet ist, genügt dies allein, um Menschen für Veranstaltungen und Wiedereröffnungen zu begeistern? Die Antwort lautet: Nein.

Den meisten Menschen ist überhaupt nicht klar, wie der konkrete Besuch einer Veranstaltung vom Ticketkauf bis zum Nach-Hause-Weg ablaufen wird. Muss Zeit für den Einlass eingeplant werden?Wie ist die Bestuhlung organisiert? Wann und wo muss eine Maske getragen werden? Wird es eine Pause geben? Was passiert im Anschluss? Diese fehlenden Erfahrungswerte sollten vorab vermittelt werden – transparent und leicht verständlich.

Eine weitere Frage, die sich potentielle Gäste stellen werden, ist die des konkreten Nutzens, der sich für sie aus dem Besuch ergibt. Wie sehr schränken Regelungen und Abläufe das individuelle und kollektive Erlebnis ein? Worauf muss verzichtet werden und welche neuen Möglichkeiten ergeben sich aus der Situation? Hier sollte man alle relevanten Entscheidungsargumente gesammelt sichtbar machen und mögliche Bedenken bereits im Vorfeld aktiv entkräften.

Eine der größten Herausforderungen ist die Frage, wie sehr Menschen nach über einem Jahr Pandemie ihre Gewohnheiten und ihr Verhalten geändert haben. Was macht das mit Menschen, wenn die Anlässe von kollektivem Erleben für über mehr als ein Jahr auf maximal ein paar Hundert oder sogar nur ein paar Dutzend Menschen begrenzt waren? Wie viele Menschen wird es geben, die erst einmal gar kein Bedürfnis nach Veranstaltungen haben, sondern zunächst den Kreis der möglichen Kontakte in kleinen Schritten erweitern? Hier müssen wir die Menschen bewusst wieder hungrig machen nach Kultur, Veranstaltungen und Begegnungen. Wir müssen Menschen aktiv das Gefühl vermitteln, dass sie im Zweifelsfall ein besonderes Erlebnis verpasst haben.

Medienwandel und Digitalisierung

Eine weitere Entwicklung, die die Pandemie mit sich bringt, ist der mit der zunehmenden Digitalisierung beschleunigte Medienwandel. Viele der bislang zuverlässigen Kanäle werden zukünftig an Effektivität einbüßen. Dies betrifft insbesondere Printmagazine, die aufgrund ihrer langen Vorlaufzeiten kaum flexibel auf eventuelle Änderungen reagieren können. Aber auch Plakate und andere Werbemittel sind wenig geeignet, um flexibel auf die kommenden Entwicklungen zu reagieren. Das Resultat: Im Falle von Absagen oder wichtigen Änderungen verfällt das eingesetzte Budget und es muss erneut in die gleichen oder weitere Werbemaßnahmen investiert werden. Doch auch die Wahrnehmung von Werbemitteln hat sich deutlich geändert. Menschen, die im Alltag auf das Einhalten von Abständen konzentriert sind und deren Wahrnehmung durch das Tragen von Masken eingeschränkt ist, haben weniger Möglichkeiten, auf Werbemittel wie Plakate, Flyer und Broschüren aufmerksam zu werden.

Größeres Potential bietet sich hingegen bei bezahlter Werbung in digitalen Kanälen. Hier sind Menschen bereits in der Grundhaltung, offener etwas Neues zu entdecken, informiert und unterhalten zu werden. Datenbasiertes Marketing und komplexe Funnel-Strukturen bieten zudem die Möglichkeit, die Vielzahl an nötigen Impulsen für die Entscheidungsfindung individuell in die digitale Erfahrungswelt des Publikums einzubetten.

Fazit

Die neuen Bedingungen stellen nicht nur große Herausforderungen an die Organisation und Durchführbarkeit von Veranstaltungen dar, sondern bringen auch neue Anforderungen für die Kommunikation mit sich. Ein erfolgreicher Neustart im Kultur- und Veranstaltungsbereich kann dann gelingen, wenn bisherige Kommunikationsstrukturen überprüft und alle Kommunikationsmaßnahmen an die neuen Anforderungen angepasst werden. Im Mittelpunkt sollte dabei weniger das eigene Sendebedürfnis im Sinne eines „Wir sind wieder da“ stehen, sondern das Informationsbedürfnis des Publikums in Bezug auf Zuverlässigkeit, Abläufe und die spezifischen Mehrwerte der Angebote und Veranstaltungen für jeden einzelnen Gast.

Autor*innen

Martin Juhls

Martin Juhls ist Gründer der Initiative Kulturkommunikation, der digitalen Kommunikations- und Strategieberatung für den Kultur- und Veranstaltungsbereich. Die privatwirtschaftliche Initiative berät und schult Kulturinstitutionen, Festivals und Veranstalter in den Bereichen PR, Marketing und digitale Kommunikation. Martin Juhls selbst leitete über zehn Jahre eine eigene PR-Agentur für den Kultur- und Veranstaltungsbereich im Ruhrgebiet, war Mitveranstalter und Leiter der Kommunikation eines großen Musikfestivals und hat in den vergangenen 20 Jahren über 2.000 Veranstaltungen in nahezu allen Bereichen der Kommunikation betreut und oftmals auch konzeptionell mitentwickelt.

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